Instrument Gebäudeökobilanz (LCA): Wie wir in Zukunft Gebäude bewerten können

Kein anderes Thema hat in den letzten Jahren bei Planern und Projektentwicklern so an Relevanz gewonnen, wie die ökologische Qualität eines Gebäudes. Doch im Gegensatz zu einer wirtschaftlichen Bewertung, sind die Taxierungsmöglichkeiten für die ökologische Qualität komplex und nicht einheitlich definiert. Das wichtigste Instrument ist die sogenannte Gebäudeökobilanz.

Was ist eine Gebäudeökobilanz?

Eine Gebäudeökobilanz, in Englisch Life Cycle Assessment (LCA), ist eine Methode zur Bewertung der Umweltauswirkungen eines Gebäudes über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg. Sie berücksichtigt verschiedene Umweltaspekte, wie unter anderem den Energieverbrauch von nicht erneuerbaren Energien und das Treibhauspotential (Global Warming Potential, GWP). 

Bei der Erstellung einer Gebäudeökobilanz verwendet man Daten zu Materialien, Bauprozessen, Energieverbräuchen und anderen relevanten Parametern. Diese Daten werden analysiert, um Umweltauswirkungen zu quantifizieren und zu bewerten. Das Ergebnis ist eine umfassende Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit eines Gebäudes, die als Grundlage für Entscheidungen zur Optimierung von Gebäudeentwürfen, Materialauswahl und Betriebsstrategien dienen kann. 

Was wird bei der Gebäudeökobilanz genau betrachtet?

Anders als bei einer Gebäudeenergiebilanz gemäß dem Gebäudeenergiegesetz (GEG), die lediglich den Energiebedarf des Gebäudes in der Nutzungsphase bewertet, betrachtet eine Gebäudeökobilanz den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes. Unterteilt wird der Lebenszyklus in verschiedene Lebenszyklusmodule, welche in der untenstehenden Abbildung dargestellt sind. Diese Betrachtung findet dabei sowohl auf Gebäude- als auch auf Produktebene statt.  

Nach den aktuellen Bilanzregeln des Qualitätssiegel nachhaltige Gebäude (QNG) werden die Module A1-A3, B4, B5, C3 und C4 betrachtet. Bei einer Bilanzierung nach der Richtline der deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) wird das Modul D1 mitbilanziert.  

Der Betrachtungszeitraum einer Gebäudeökobilanz beläuft sich auf eine Nutzungsdauer von 50 Jahren. 

 

Hintergrundwissen: ein detaillierter Blick auf die einzelnen Lebenszyklusmodule

In den Modulen A1-A3 werden die Umweltauswirkungen bei der Gewinnung der benötigten Rohstoffe bis hin zur Erstellung eines fertigen Bauproduktes bilanziert. Die Bilanzierung erfolgt dabei immer auf Produktebene. Beispielsweise wird bei der Herstellung von Zement der Abbau von Kalk, der Transport in das Zementwerk und der Brennprozess zur Herstellung von Zement bilanziert.   

In den Modulen A4-A5 wird der Transport vom Werk bis zum Einbauort und dessen Emissionen durch die Installation bilanziert.  

In den Modulen B1-B7 erfolgt die Bilanzierung des Betriebes und der Nutzung des Gebäudes. Die Module beziehen sich auf den Zeitraum, in dem ein Gebäude in Betrieb ist und genutzt wird. Diese Phase umfasst typischerweise den längsten Zeitraum innerhalb der Gesamtlebensdauer eines Gebäudes. Während dieser Phase werden verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit dem Energieverbrauch, der Ressourcennutzung und den Umweltauswirkungen des Gebäudes betrachtet.  

Ein entscheidender Faktor für die Umweltauswirkungen eines Gebäudes ist in dieser Gruppe der Energieverbrauch im Betrieb (Modul B6). Es wird betrachtet, wie viel Energie für Heizung, Kühlung, Beleuchtung, Lüftung, elektrische Geräte und andere Zwecke benötigt wird. Der Energieverbrauch kann sich auf den Einsatz von fossilen Brennstoffen, die Freisetzung von Treibhausgasen und den Beitrag zum Klimawandel auswirken. 

Interessant für die Ökobilanz eines Gebäudes sind die Module Betrieb und Nutzung (B1-B3), denn hier wird Bezug auf die Lebensdauer von Bauprodukten oder Anlagen genommen. Beispielsweise besitzt ein Teppichboden eine mittlere Nutzungsdauer von rund zehn Jahren. Fliesenbeläge hingegen erreichen eine mittlere Nutzungsdauer von größer als 50 Jahren. Dabei ist festzustellen, dass der Teppichboden bei der Herstellung des Produkts zunächst weniger CO2-Äquivalente (CO2-Äq) emittiert als ein Fliesenbelag. Betrachtet man jedoch die Emissionen bilanziert auf eine Nutzungsdauer von 50 Jahren, ist festzustellen, dass der Teppichboden wesentlich mehr CO2-Emissionen verursacht. 

 

Ebenfalls in die Zukunft gerichtet sind die Module C1-C3, welche den Rückbau und die Entsorgung betreffen. Die Lebensendphase eines Gebäudes beginnt, wenn das Gebäude stillgelegt wird und keine weitere Nutzungsmöglichkeit besteht. Für diese „End of Life“-Phase der Gebäude bestehen mehrere Szenarien. Die Szenarien beschreiben die Behandlung der Bauabfälle, z.B. Abfallsortierung, Vorbereitungsprozesse für die Wiederverwendung, das Recycling und die Energierückgewinnung. Des Weiteren werden durch das Modul C4 die Szenarien für die Beseitigung der Materialien und Stoffe bilanziert. Die Szenarien müssen alle Prozesse (Neutralisation, Verbrennung mit oder ohne Energieerzeugung, Deponieren, usw.) einbeziehen. 

Die Emissionen des Rückbaus und die Behandlung der Bauprodukte und Stoffe werden dem verwendeten Produkt angerechnet und bilanziert.  

Der selektive Rückbau und die Gewinnung von Sekundärrostoffen sind ein Szenario, welches mehr in den Fokus rückt. Das Szenario für die Recyclingpotentiale wird außerhalb der Systemgrenze im Modul D bilanziert. 

In Zukunft wird die Gebäudeökobilanz immer wichtiger werden 

Die Erstellung von Gebäudeökobilanzen wird für Bauherren in Zukunft ein zentraler Bestandteil ihrer Bauprojekte werden, denn die Umweltauswirkungen eines Neubaus zu bilanzieren, ist bereits jetzt eine zentrale Förderbedingung:  

Mit den neuen KFW-Fördermaßnahmen wurde das Programm „Klimafreundlicher Neubau“ (KfN) eingeführt. Dieses fördert den Effizienzhausstandard 40 (EH40/EG40) ohne Wärmeerzeugung auf Basis fossiler Energie oder Biomasse. Erstmals wurden mit dem neuen Förderprogramm Anforderungen an das Treibhausgaspotential fest verankert. Förderfähige Gebäude dürfen die jeweiligen Grenzwerte der Treibhausgasemissionen und des Primärenergiebedarfs aus nicht erneuerbaren Energien nach dem Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude nicht überschreiten. Für Wohngebäude wurde ein Grenzwert des GWP von 24 Kg-CO2-Äq pro netto Raumfläche und Jahr sowie ein Primärenergiebedarf aus nicht erneuerbaren Energien von 96 kWh pro netto Raumfläche und Jahr festgelegt. Bei Nicht-Wohngebäuden werden die Grenzwerte anhand von einem Referenzgebäude errechnet.

Weitere Informationen zu den Förderungen und Forderungen bei Neubauten lesen Sie im Artikel “Jetzt für die Zukunft denken: Warum wir energieeffizient und klimafreundlich bauen sollten”.

Baden-Württemberg führt CO2-Schattenpreis ein

Als größter Auftraggeber der Baubranche mit rund 13% am gesamten Bauvolumen 2022 hat die öffentliche Hand auch ein großes Lenkungspotential mit der Vergabe ihrer Aufträge. So führte im Februar 2023 das Land Baden-Württemberg einen CO₂-Schattenpreis für Baumaßnahmen auf Landesebene ein. Dieser wurde im Rahmen des neuen Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz als Reaktion auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verabschiedet. 

Die Höhe des CO₂-Schattenpreises orientiert sich dabei an dem vom Umweltbundesamt ermittelten Wert für Klimakosten von Treibhausgasemissionen. Zum aktuellen Zeitpunkt beträgt dieser 201 €/t. der Preis bildet die tatsächlich verursachten Kosten für die Inanspruchnahme der Umwelt ab. Auch deshalb lohnt es sich für Bauherren, nicht nur die aktuellen Baukosten in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einzubeziehen, sondern langfristig zu denken. 

Neuer EU-Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr

Das zentrale internationale Instrument zur Reduktion der Emissionen ist der Emissionshandel. Die Grundidee ist einfach: Für jede Tonne CO₂, die emittiert werden soll, muss ein CO₂-Zertifikat aus der begrenzten Gesamtmenge eingekauft werden. In Deutschland existiert bereits seit dem Jahresbeginn 2021 ein nationales Emissionshandelssystem (nEHS) für die Sektoren, die vom bestehenden Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) nicht erfasst sind. Darunter fällt unter anderem die Treib- und Brennstoffversorgung des Gebäudesektors. Im nEHS kostet die Tonne CO₂ aktuell einen Festpreis von 30€/t und soll bis 2025 auf 45€/t CO₂-Äq. ansteigen. 2026 beginnt dann die Versteigerungsphase mit Preiskorridor, anschließend ist eine Versteigerung mit freier Preisbildung am Markt vorgesehen. 

Mit der Einführung eines neuen, separaten Emissionshandelssystems für die Treib- und Brennstoffversorgung des Gebäudesektors und des Straßenverkehrs (EU Emissions Trading System II, EU-ETS II) soll das auch auf EU-Ebene umgesetzt werden. Im April 2023 hat nach der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament auch der Rat einer umfassenden Änderung der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG (EHRL) zugestimmt. Im Gegensatz zum nEHS soll das ETS II mit einer freien Preisbildung am Markt eingeführt werden. Über eine Preisobergrenze sowie dem Zeitpunkt der Markteinführung wird aktuell noch diskutiert. Die Einführung des ETS II für Gebäude und Fahrzeuge soll noch vor 2027 stattfinden. 

Was Bauherren bei der Erhebung von Ökobilanzdaten beachten sollten

Je nach Zeitpunkt der Erstellung der Gebäude-Ökobilanz im Planungsprozess variiert die Kenntnis über die Verwendung spezifischer Produkte. Demzufolge werden in frühen Planungsstadien allgemein gültige, generische Datensätze verwendet. Nach der Vergabe werden, wenn verfügbar, spezifische Datensätze der Produkte (EPDs – Europäische Produktdeklarationen) verwendet. Während für eine Ökobilanzierung nach DGNB sowohl für den Kriterienkatalog Version 2018 als auch 2023 produktspezifische Datensätze verwendet werden dürfen, ist das nach den aktuellen QNG-Bilanzierungsregeln (V1.3) nicht mehr erlaubt. Dadurch geht ein massiver Anreiz für Hersteller verloren, produktspezifische Umweltdeklarationen erstellen zu lassen sowie Anstrengungen zu unternehmen, gute Ergebnisse in der Ökobilanz ihres Produktes zu erzielen. Hier muss das QNG dringend nachbessern!

Lesen Sie dazu auch unseren Fachartikel über CO₂-reduzierten Beton.

Die meist verbreitete und frei verfügbare Datenbank in Deutschland ist die Ökobaudat (https://www.oekobaudat.de), welche vom Bund in einem Forschungsprojekt entwickelt wurde. Auf die

Best Practice: Gottlob Rommel unterstützt die ökologische Gebäudeplanung

Für den Neubau zweier Mehrfamilienhäuser in einer Holzhybridbauweise inklusive Tiefgarage in Mannheim konnte durch das Partnerschaftsmodell von Gottlob Rommel bereits in den frühen Planungsphasen die Gebäudeplanung ökologisch optimiert werden. Das Partnerschaftsmodell beschreibt einen zweiphasigen Beauftragungsprozess. In der Phase 1 agieren wir als Planungskoordinator und Berater. Dabei erbringen wir alle maßgeblichen Berechnungsleistungen für energieeffiziente und nachhaltige Bauprojekte. In Phase 2 erfolgt dann die Bauausführung.    

Die Phase 1 ist maßgeblich für den Erfolg des Vorhabens hinsichtlich der Anforderungen an energieeffiziente und nachhaltige Gebäude. Wie immer gilt in der Planung: Je früher auf die ökologische Qualität des Gebäudes in der Planung geachtet wird, desto größer sind die Einflussmöglichkeiten und je geringer ist der Aufwand von Änderungen im Projekt.  

Zur Erfüllung des Effizienzhaus 40 (EH40) inklusive Nachhaltigkeitsklasse (NH-Klasse) wurde hier eine DGNB-Zertifizierung in der Qualitätsstufe Silber sowie einen Nachweis zur Erfüllung der Anforderungen an das Qualitätssiegel nachhaltiges Gebäude (QNG) durchgeführt.  

Bei diesem Projekt zeigten sich deutlich die Unterschiede in den Berechnungsregeln für die Ökobilanz nach DGNB und QNG. Während die Ergebnisse im DGNB-System in einem guten DGNB-Goldsiegel Bereich lagen, verfehlten sie im QNG-System knapp die Anforderungen für das QNG, was zur Erreichung der NH-Klasse der BEG erforderlich ist. Die folgende Abbildung zeigt den Variantenvergleich, der zur Erreichung der QNG-Plus-Anforderungen vorgenommen wurde. 

Bei der Standardvariante wurde die Heizungs- und Warmwasserbereitung mit einer Luft-Wasser Wärmepumpe geplant sowie einer elektrischen Zusatzheizung. Auf dem Dach wurde eine 45 m2 große PV-Anlage mit hohem Eigennutzungsanteil vorgesehen. Die Standardvariante der Baukonstruktion war ein Stahlbetonskelett mit massiven Holzaußenwänden.  

 

Der Variantenvergleich zeigt deutlich, wie groß der Anteil der Betriebsemissionen aus Heizungs- und Warmwasserbereitung sowie dem Nutzerstrom auf den Lebenszyklus gesehen ist. Durch eine Verdoppelung der PV-Fläche oder dem Einsatz von CO₂-reduziertem Beton konnten die CO₂-Emissionen in diesem Projekt unter das Anforderungsniveau von QNG-Plus gebracht werden. In der Konstruktion hat die Konstruktionsvariante den maßgeblichen Einfluss auf die Ökobilanzergebnisse. Auch ein Holzhybridbau steht im Vergleich zu einem massiven Stahlbetonbau deutlich besser da. Wenn allerdings Stahlbeton verbaut werden soll, ist der Einsatz von CO₂-reduziertem Beton sinnvoll. 

Quellenhinweise:

Das CO2-Äquivalent als Maßstab des Klimaschutzgesetzes: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlands#nationale-treibhausgasminderungsziele-und-deren-umsetzung 

Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2022 

Emissionshandel 

https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/jlr-CO2SPrVBWpP4 

https://um.baden-wuerttemberg.de/de/klima/klimaschutz-in-bw/klimaschutz-und-klimawandelanpassungsgesetz-baden-wuerttemberg 

Bericht zur Lage und Perspektive der Bauwirtschaft 2023 - BBSR-Analysen KOMPAKT 03/2023 

Neuer EU-Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr - 2023 Deutscher Bundestag 

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