„Krise oder Transformation?”

Kurz-Interview mit Andy Vonderlind über die Herausforderungen der Baubranche

Auch im zweiten Quartal 2023 ist die deutsche Wirtschaft geschrumpft, von Rezession zu sprechen, ist erlaubt. War in den letzten Wirtschaftskrisen der Bausektor immer als erster betroffen, konnte dieses Mal die Branche noch lange Stand halten, aber jetzt scheint die Krise auch die Bauwirtschaft erreicht zu haben. Andy Vonderlind, Sprecher der Geschäftsführung der Gottlob-Rommel-Gruppe, erläutert seine Einschätzung des Status Quo.   

 

„Die Baubranche leidet derzeit an einem Auftragsschwund, da gestiegene Zinsen, fehlende Fördermittel und hohe Baukosten viele Projekte unrentabel machen“, stellt das Handelsblatt in einem Beitrag vom 14.06.2023 fest. Ist die Baubranche in eine Wirtschaftskrise gerutscht, droht sogar ein Absturz? 

„Die Baubranche steht in der Tat angesichts der genannten Faktoren vor sehr großen Herausforderungen, aber von einem Absturz zu sprechen, ist falsch. Und, es geht vor allem um den Wohnungsbau. Doch selbst hier erwartet das DIW Berlin für 2024 wieder ein Plus von 2,7%.  Es gilt also, die Entwicklung differenzierter zu betrachten – wir als Gottlob-Rommel-Gruppe sehen eher, dass es sich um eine Krise im Bereich der Immobilienwirtschaft handelt. Die Bauwirtschaft aber befindet sich mitten in einer Transformation, wie sie unsere Branche noch nie erlebt hat.“  

 

Was verursacht die weitreichende Transformation der Bauwirtschaft? 

„Unser Wirtschaftszweig war in der Vergangenheit wenig innovativ. Hierfür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Neben den strikten Vorgaben durch Gesetze und technische Normen war es in der Vergangenheit meist so, dass nicht das ausführende Unternehmen das Produkt „Immobilie“ entwickelt hat, sondern der Auftraggeber. Das heißt:  Zumeist haben Bau- und Handwerksunternehmen nach vorgegebenen Plänen, Leistungsverzeichnissen oder funktionalen Baubeschreibungen kalkuliert und gebaut. Am Ende kam es nur darauf an, welches Unternehmen den geringsten Preis in die Positionen der Leistungsverzeichnisse eingetragen oder den geringsten Pauschalpreis geboten hat. Der Kunde durfte davon ausgehen, dass alle Unternehmen exakt das gleiche ausgeschriebene Produkt „Immobilie“ angeboten haben. Innovation war meist nur in der Optimierung der Abläufe, z.B. durch Lean möglich. Aber auch hier ergaben sich auf Grund der Kleinteiligkeit oft wenige Optimierungspotentiale. Dieses Vorgehen hemmt die Innovationskraft. Nun wendet sich das Blatt – aktuell ist zu beobachten, dass unsere Kunden zunehmend daran interessiert sind, uns als Bau- und Handwerksunternehmen mit eigenem Know-how in vielen Gewerken des Bauens frühzeitig einzubeziehen. Das erfordert Umdenken und wird zu einem Paradigmenwechsel in unserer Branche führen.“ 

 

Das heißt, dass sich auch die Geschäftsmodelle und das Leistungsportfolio in der Bauwirtschaft ändern werden. Wie können wir uns das vorstellen? Wie wird dieser Paradigmenwechsel in der Bauwirtschaft aussehen? 

“Es ist sinnvoll, uns als Bauunternehmen gemeinsam mit Architekten und Planern bereits zu Beginn der Planungsphase miteinzubeziehen, um auf diese Weise Innovationen und Optimierungen frühzeitig einzubringen. Diese Vorgehensweise wird durch den zunehmenden Wunsch unserer Kunden und den Druck der Politik zum nachhaltigen, klimaneutralen Bauen gefördert. Wir, die Immobilien- und Bauwirtschaft, stehen ja nicht umsonst in der Kritik für über 40% der CO2-Emissionen verantwortlich zu sein. Durch das Spannungsfeld, zum einen kostengünstige Immobilien zu realisieren und zum anderen, die Gebäude umweltfreundlicher zu planen und zu bauen, ergeben sich in der Bauwirtschaft neue Fachdisziplinen. Fachdisziplinen, wie beispielsweise die Bewertung der Ökobilanz oder die Kreislaufwirtschaftsfähigkeit von Gebäuden, welche die Bauwirtschaft lange Zeit nicht abgedeckt hat! Diese Verantwortung wollen wir daher tragen sowie nachhaltige Lösungen entwickeln und unsere Kunden zielführend beraten. Dafür müssen wir unsere Dienstleistungen und auch unsere Geschäftsmodelle transformieren.“  

 

Wie reagiert speziell die Gottlob-Rommel-Gruppe auf die neuen Anforderungen? 

“Ein Beispiel für die Wandlung unserer Geschäftstätigkeit ist die industrielle Vorproduktion von Bauteilen, Bauelementen oder sogar von ganzen Räumen. Dies ist ein Schlüssel, um den Fachkräftemangel zu kompensieren. Jedoch betrachten wir auch die monetären Aufwendungen, die es für diese Transformation benötigt. Wir, die Gottlob-Rommel-Gruppe schauen dieser notwendigen Entwicklung entgegen, standardisieren unsere Leistungen, entwickeln Ansätze, um die Individualisierung der Produkte durch den Kundenwunsch sicherzustellen und arbeiten mit vorgefertigten Produkten. Dabei ist es uns sehr wichtig, dass die Mehrkosten am Ende nicht unsere Kunden tragen.”  

 

Nun noch ein Blick wieder zurück auf die wirtschaftliche Situation: Wie entgegnet Ihr Unternehmen den negativen Konjunkturindikatoren?    

„Wir sind seit über 120 Jahren ein erfolgreiches, mittelständisches Bau- und Handwerksunternehmen und konnten alle Krisen sowie zwei Weltkriege erfolgreich meistern. Auch jetzt sind wir gut auf die künftigen Herausforderungen vorbereitet: Wir wollen uns zum Produktionsunternehmen mit Projektausführungskompetenz entwickeln. Dabei sehen wir die Baustelle als Produktionsstandort. Wir werden aber wie bereits angesprochen möglichst viel vorfertigen und auf den Baustellen dann montieren. Dieses Vorgehen ermöglicht es uns, auch den Bauprozess in die wirklichen Bautätigkeiten und in einen Logistikprozess aufzugliedern, um jeweils unterschiedliche Spezialisten einsetzen zu können. Mit dem Start der Planung des Entwicklungs-, Logistik- und Technologiezentrums der Gottlob-Rommel-Gruppe auf unserem Grundstück in Renningen wird uns das gelingen. Was uns dabei besonders hilft, sind unsere Wurzeln als autarkes Bau- und Handwerksunternehmen: Wir haben 1901 als Maurerbetrieb begonnen und nie die Eigenleistungskompetenz, also das Bauen mit eigenen Handwerkskolleginnen und Kollegen aufgegeben. Nein, im Gegenteil, unsere Strategie war und ist, wesentliche Gewerke wie Rohbau, Elektroinstallationen, Heizungs- und Sanitärtechnik selbst ausführen zu können. Nur so haben wir das Know-how zur Optimierung der Bauprozesse und unsere Innovationsfähigkeit erhalten zu können.“ 

 

Quellen:
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/rezession-baubranche-stark-von-kurzarbeit-betroffen/29200160.html 

Schmidt, C. (2023): Bauwirtschaft: Droht ein Absturz in der Baubranche? In: ifo Schnelldienst 1 / 2023 76. Jahrgang 18. Januar 2023

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